AG-Panel auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2013
„Medien der Wissenschaft“, 02.-05.10. 2013, Leuphana Universität Lüneburg
Comics werden in erster Linie als Medium der Unterhaltung wahrgenommen. Tatsächlich haben sich im Laufe der Zeit jedoch verschiedene Spielarten des Comics herausgebildet, die nicht (nur) unterhalten, sondern auch Wissensinhalte vermitteln.
Das Panel der AG Comicforschung setzt sich in diesem Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen der Wissenschaftsdiskursivierung im Comic auseinander. Neben der Thematisierung comicspezifischer Verfahren der Wissensproduktion sowie Wissenschaftsdarstellung werden im Rahmen der hier versammelten Beiträge ebenfalls verschiedene Strategien der selbstreflexiven Wissensvermittlung in den Blick genommen.
Die Vorträge beschränken sich jedoch nicht nur auf Fragen, wie Erkenntnisse im Medium Comic vermittelt werden können; auch Möglichkeiten der Utilisierung von comicspezifischen Zeichen im öffentlichen Raum werden diskutiert. Der Comic kann somit als ein ‚Labor der Medienwissenschaft’ verstanden werden, in dem nicht nur Wissen über, sondern auch Wissen durch Medien produziert wird.
Moderation: Véronique Sina (Bochum)
Jens Meinrenken (Berlin):
„Comic als Medium der Wissenschaft“
Die Erkenntnisse und Erfindungen der Wissenschaft spielen im Comic eine zentrale Rolle. Wissen wird im Comic präsentiert, inszeniert und karikiert. Dabei zeigt sich, dass nicht nur in sogenannten Sachcomics, sondern auch in fiktionalen Comics wissenschaftliche Themen einen eigenen Platz finden. Der Vortrag möchte einen generellen Überblick über die Formen und Strategien der Wissenschaftsdarstellung im Comic geben. Dabei wird von der zentralen These ausgegangen, dass Comics eine spezifische Bildlogik besitzen, die eine starke Präsenz und Anschaulichkeit der geschilderten Information erzeugt. Zugleich teilt sich der Comic mit der Wissenschaft verschiedene Bildformen im Prozess der Wissensvermittlung. Vor allem die Sequenz ist in den Naturwissenschaften ein herausragendes Instrumentarium, um dynamische Vorgänge visuell und narrativ ins Bild zu setzen. Diese Nähe zur Bilderfolge des Comics soll im Vortrag ausführlich analysiert werden, um eine differenzierte Bildgrammatik der Sequenz zu erarbeiten.
DER BEITRAG VON JENS MEINRENKEN MUSSTE LEIDER ENTFALLEN!
Simon Klingler/Andreas Veits (Hamburg):
„Selbstreflexive Wissensvermittlung im Comic. Wenn Comics Comics erklären“
Verglichen mit der Literatur- oder Filmwissenschaft ist die Comicwissenschaft noch eine verhältnismäßig junge Disziplin. Obwohl die zunehmend wachsende Anzahl an Veröffentlichungen ein gesteigertes Interesse an dem Forschungsgegenstand ‚Comic’ erkennen lässt, hat sich bis heute – u.a. aufgrund der unterschiedlichen Forschungsperspektiven und heterogenen Zugänge – kein allgemein akzeptierter Kanon wissenschaftlicher Texte herausgebildet. Infolgedessen besitzen wissenschaftliche Standardwerke, wie wir sie für andere Medien kennen, im Bereich der Comicforschung immer noch Seltenheitswert.
Blickt man in die Literaturlisten comicbezogener Publikationen, stellt man mit Erstaunen fest, dass es sich bei den Werken, die wohl am häufigsten zitiert werden, um gar keine wissenschaftlichen Arbeiten im engeren Verständnis handelt: Scott McClouds „Comics richtig lesen“ (1999) und Will Eisners „Mit Bildern erzählen“ (1995) sind in erster Linie Bücher und Comics über Comics – geschrieben im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. Beide Werke versuchen mit den Mitteln des Comics zu erklären, wie grafische Literatur funktioniert und entstammen dabei spezifischen Ursprungskontexten.
In ihrem Vortrag präsentieren Simon Klinger und Andreas Veits ein kritisches Re-Reading von McCloud und Eisner, bei dem folgende Fragen im Mittelpunkt stehen werden:
1. Welche Strategien der Wissensvermittlung lassen sich im Vergleich von McCloud und Eisner beobachten?
2. Was leisten diese ‚Standardwerke’ als wissenschaftliche Basistexte und welche Parameter werden durch sie im Diskurs etabliert?
3. Inwiefern kann an die Überlegungen von McCloud und Eisner angeknüpft werden bzw. wo müssen diese im Anschluss an methodologische Überlegungen der Medien- und Literaturwissenschaft weitergedacht werden?
Lukas R.A. Wilde (Tübingen)
Die Szenographie der Alltagsnavigation: Manga-Grafiken zur Darstellung von Wirkungszusammenhängen im öffentlichen Raum
Wer sich in Japan durch den öffentlichen Raum bewegt, stellt unweigerlich fest, dass sich unter der großen Menge an Hinweisschildern und Verbotstafeln kaum ein Exemplar finden lässt, das nicht in irgendeiner Weise bebildert oder illustriert wäre. Individuell gestaltete Figuren demonstrieren in humoristisch ausgearbeiteten ‚Settings‘ richtige wie falsche Verhaltensweisen, nicht selten gar den offenkundig peinlichen Fauxpas. Es handelt sich, mit anderen Worten, um eine Übertragung von Manga-Strukturen narrativ-szenographischer Prinzipien in operative gesellschaftliche Kontexte. Durch simultane Referenz auf tatsächliche Objekte, auf hypothetisches Personal, sowie auf prozessuale Handlungszusammenhänge (die oft gerade nicht stattfinden sollen), entsteht ein ‚Layout‘ an leicht verständlichen Schlussfolgerungsmöglichkeiten und Beziehungen (auch ohne der Kanji-Schriftzeichen kundig zu sein). Konventionalisierte Manga-Symboliken spielen dabei ebenso eine Rolle wie am Comic ausgebildete syntaktischen Strukturen. Die Bedeutung einer „alle Landesteile umfassenden visuellen Kultur“ ist also nur exemplarisch im Manga zu suchen, wo in einer Art Experimental‐Labor reichhaltige Werkzeuge herausgebildet wurden, die in Gebrauchsgrafiken wieder zur Anwendung kommen.
Roman Mauer (Mainz)
Ikonizität und Zeugenschaft. Dokumentarische Comics über den israelisch-palästinensischen Konflikt.
Historische Zeugnisse als Basis von Wissen und Wissensvermittlung werden gemeinhin nicht im Comic gesucht. Ungeachtet dessen nehmen journalistische Comics in den letzten Jahren selbstbewusst ihren Platz zwischen Geschichtscomics und autobiografischen Comics ein. Ein auffälliger Trend ist dabei, dass der Fokus wiederholt auf Konflikte in der arabischen Welt liegt. Während dokumentarische Animationsfilme, wie „Waltz with Bashir“ (2008, Ari Folman) und „The Green Wave“ (2010, Ali Samadi Ahadi), die ungefilmte Menschenrechtsverletzungen im Libanon und im Iran sichtbar machen, in den Medienwissenschaften Beachtung fanden, sind dokumentarische Graphic Novels, die den israelisch-palästinensischen Konflikt beleuchten, noch kaum analysiert worden. Wie Reportage-Material in das Medium des Comics übersetzt wird, wie sich ikonische Zeugenschaft mit Blick auf komplexe sozio-politische Zusammenhänge vollzieht, lässt sich an den jüngeren Arbeiten von Joe Sacco, Guy Delisle, Sarah Glidden, Maximilien le Roy und Harvey Pekar (u.a.), die alle zwischen 2009-2012 publiziert wurden, thematisieren. Dass gezeichnete Bilder keinen indexikalischen Bezug zur Wirklichkeit enthalten, diese notwendigerweise umformen und somit immer auch Zeichen von Subjektivität sind, wird von den Künstlern souverän eingesetzt: Individueller Blick und Strich werden als Ausdruck der Authentizität proklamiert, Symbolik, Assoziation und Analogie als Mittel genutzt, um dem scheinbar Objektiven autodiegetisch unter die Haut zu gehen.