AG-Panel auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2017
Thema: „Zugänge“, 04.10.-07.10. 2017, FAU Erlangen-Nürnberg
Mittwoch, 04.10.2017 | 15:00 – 16:30 | Ort: Großer Hörsaal
Die mehrfache Adressierung, alternative Situierung und multimodale Zugänglichkeit des Comics hat sich immer wieder für die besondere Behandlung von Transversalität angeboten: Kulturelle, sprachliche und mediale Grenzen werden dann einerseits ebenso deutlich inszeniert wie andererseits kompensierend vermittelt. Das verzerrte Bild einer fremden Kultur wird zum Beispiel im Cartoon in seiner ganzen Verfremdung und vor dem Horizont seiner Subjektivität ausgestellt; zugleich aber wird etwa zur fremden Schriftsprache in einer Sprechblase durch die beigegebene Bildsequenz ein alternativer Zugang geboten.
Dazu tragen die mehrfachen Publika des Comics bei, der populär orientiert aber in Selbst- und Fremdzuschreibungen kulturell marginal verfährt und schon deshalb stets mit mehreren divergierenden Rezeptionen rechnet. Nicht weniger hat die transmediale Übersetzung aus traditionellen und in weitere moderne Formen an Übergängen und Vermittlungsleistungen Anteil; ebenso die transmediale Verknüpfung des Comics mit seiner regen Begleitkommunikation in Fankreisen, zumal in digitalen Archiven und Foren.
Das Panel der AG Comicforschung wird diesen multiplen Zugängen des Comics in ihrer Funktionalisierung für verschiedene inhaltliche und formale Übergänge anhand dreier vertiefender Lektüren nachgehen: zum Einsatz comicspezifischer Verfahren in der transkulturellen Vermittlung von Satrapis Persepolis; zur divergierenden impliziten und expliziten Rezeption jahrzehntealter populärer Serien mit ihrem Überschuss an potenzieller populärer Erinnerung; und zur kinematographischen Überführung von Comics in neue Formen, deren Reflexion zugleich einen besonderen Zugang zum veränderten Status der Kunstform in unserer Gegenwart bietet.
Moderation: Véronique Sina (Tübingen)
Maxim Nopper (Freiburg)
„Persepolis – Eine Geschichte von Übergängen: Transversalität und Liminalität“
Marjane Satrapis autobiografische Graphic Novel Persepolis handelt von Übergängen: vom Erwachsenwerden, von Migration, von Revolution und von Krieg. Persepolis spielt dabei gekonnt mit dem Entwerfen und Verwerfen von Identitätsentwürfen. Dichotome „schwarz-weiß“ Konstruktionen lösen sich regelmäßig in bunte Farbpaletten der Einzelschicksale auf. Auch das Werk selbst hat eine transnationale Geschichte: es erzählt vom Aufwachsen im postrevolutionären Iran, vom Krieg mit dem Irak und von der Auswanderung nach Österreichh – wurde aber aus der Perspektive einer in Frankreich lebenden Autorin geschrieben und richtet sich an ein breites mitteleuropäisches Publikum.
Anhand einer detaillierten Comicanalyse soll aufgezeigt werden, wie Satrapi ihr Spiel mit Identität durchführt und welche Rolle der transnationale Hintergrund für den Comic spielt. Dabei soll Persepolis in Verbindung gebracht werden mit Konzepten der Transidentität, Transnationalität und Liminalität. Somit soll geklärt werden, wie verschiedene Zugänge zu dem ungewöhnlichen Thema und zu den komplexen Strukturen geschaffen werden, oder genauer: wie Satrapi es schafft durch die Kombination der Erzählweisen von Comics und den autobiografischen sowie politischen Themen ein Publikum anzusprechen, das weit über Comicfans hinaus geht.
Stephan Packard (Freiburg/Köln)
„‚Das Panel war nicht für mich bestimmt.‘ Mehrfachadressierungen im populären Comic“
Populäre amerikanische Comics sind häufig mehrfach adressiert, insofern sie sich an Publika mit unterschiedlichen Vorkenntnissen richten.
Dazu zählen etwa Mainstream-Comics in dichten und rhizomatisch verstreuten Storyworlds, die extensiv Plotstränge, Charaktere, Ereignisse und Themen aus etlichen Jahrzehnten und verschiedenen Medien aufnehmen, aber dennoch für neue Leserinnen und Leser zugänglich sein wollen; Mehrfachcodierungen, bei denen etwa in der multimodalen Verdichtung chinesische Schriftzeichen oder Gesten der Gebärdensprache nur einigen unter vielen Leserinnen und Lesern zugänglich sein werden, obwohl auch den anderen die Lektüre gelingt; und Easter Eggs, die sich von vornherein als zufällige Entdeckungen anbieten, die bei der Lektüre auch ausbleiben können.
Anhand einiger einschlägiger Beispiele wird dieser Beitrag den kommunikativen Voraussetzungen und den Zielen dieser Verfahren nachgehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Zusammenspiel dieser Verfahren mit der besonderen Ästhetik verschränkter Sichtbarkeit und Sagbarkeit im Comic und der Begleitung der Produktion und Lektüre mit umfangreicher begleitender Kommunikation in digitalen Netzen.
Peter Vignold (Bochum)
„Aufbruch ins Silver Age – Das Marvel Cinematic Universe als Zugang zum Wandel in der Produktionspraxis zeitgenössischer Comicfilme“
Mit dem transmedial organisierten Marvel Cinematic Universe hat der um Superheld_innen zentrierte Comicfilm die Schwelle von episodischer Geschlossenheit hin zu offeneren Formen der Serialität, die sich an den Produktionsmodi von Comicheftserien während des sogenannten Silver Age of Comic Books orientieren, vollständig überschritten. Mit ihrer für Eventblockbuster vergleichsweise exzessiven Serialität haben die Filme der Marvel Studios nicht nur den Zugang zu einem neuen Produktionsmodus von serialisierten Comicfilmen eröffnet, sondern auch über die Grenzen des Comicfilms hinaus in den Köpfen der Film- und TV-Schaffenden das Phantasma der unbedingten Bankability von hyperseriell strukturierten Cinematic Universes installiert. Dieses und weitere Signale können als indikativ für den Übergang in ein „silbernes Zeitalters des Comicfilms“ betrachtet werden, das hier zur Diskussion gestellt und auf seine Bedeutung für die Verschränkung von Serialität, Medialität und Ökonomie im zeitgenössischen transmedia franchising hin befragt werden soll.
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