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PROGRAMM: COMICS 4.0 – GfM-Jahrestagung 2018, 28.09.2018, Universität Siegen

Fr.  28. September 2018 | 16.-17.30h
Unteres Schloss | SESSION: 07.04 | RAUM: US-A 134/1

Um das revolutionäre Potenzial des ‚Digitalen’ für die Produktion, Rezeption sowie Distribution des Printmediums Comic zu verdeutlichen, führt Scott McCloud in seinem Buch Reinventing Comics (2000) das Konzept der „infinite canvas“, also der unendlichen Leinwand ein. Nicht länger an die formalen, ästhetischen oder materiellen Begrenzungen eines gedruckten Comics gebunden, stehen den Produzent_innen von Webcomics eine Vielzahl innovativer Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, welche eine neue Ästhetik des Mediums hervorbringen: eine neue „Kunstform jenseits unserer Vorstellungskraft“ (ebd.: 241). Obwohl bis heute viele digitale Comics moderne Klassiker des Mediums hervorgebracht haben, ist die ‚formale Revolution‘ jedoch eher ausgeblieben. Im Gegenteil konnten viele Webcomic-Werke erst nach einer ‚Rückübersetzung‘ in Print breite feuilletonistische und kuratorische Aufmerksamkeit erfahren. Die ‚medialen Spezifika‘ des Digitalen scheinen hier gerade wieder eingebüßt. Das medienwissenschaftlich stetig anwachsende Interesse an den Digitalisierungsprozessen des Comics entwächst daher eher anderen Faktoren als formal-ästhetischen: Das Panel der AG Comicforschung nimmt diese insbesondere unter den Begriffen Partizipation, Distribution und Medienkonvergenz in den Blick – Aspekte, die eher durch industrielle und institutionelle Transformationen fundiert sind. Die Legitimationskämpfe um die produktive Marginalität des Comics – zwischen Massenmedium und Subkultur – machen schon immer einen wichtigen Teil seiner gesellschaftlichen und politischen Relevanz aus. Anders als etwa Filme bleiben Comics leicht(er) produzierbar und konnten seit der Jahrtausendwende – gerade auch durch ihre zunehmende Digitalisierung – zu einer weithin genutzten Form der Alltagskommentierung und -beobachtung avancieren. Unter dem Schlagwort „Comics 4.0“ möchte das Panel diesen Wandlungsprozessen, die durch die Digitalisierung des Comics ausgelöst wurden, nachgehen.

Moderation:     Véronique Sina (Köln)

Referenten:

Lukas R.A. Wilde (Tübingen): „Von Remediation zum Intermedium: Formen, Formate und mediale Rahmungen digitaler Comics“

Gibt es eine spezifische Ästhetik digitaler Comics? Webseiten, Social Media-Plattformen und Apps sind längst nicht die ersten Trägermedien, welche die Comic-Industrie(n) sich im Laufe ihrer Geschichte neu erschlossen haben. Digitale Dispositive zwingen Künstler_innen, Rezipient_innen und auch die Forschung dennoch in kaum gekannten Maße, die Grenzen, Möglichkeiten und Spezifika der medialen Gestaltungsform Comic neu auszuhandeln. Diskutiert werden muss hier nicht nur die technologische Integration erweiterter Modalitäten wie Ton, Bewegung oder Interaktivität, sondern auch der bewusste Verzicht auf vieles, was im Print noch als bestimmend galt. Bereits die Einbettung von handgezeichneten, ästhetisch konzipierten oder schlicht humoristischen Grafikdateien in Blogs scheint zunehmend als kultureller Marker für ‚Comichaftigkeit‘ zu fungieren, selbst wenn diese Grafiken überwiegend Texte oder diagrammatische Darstellungen enthalten und kaum als ‚narrativ‘ einzuschätzen wären. Dies bedeutet, dass der Comic derzeit seine ‚Lesbarkeit‘ in der visuellen und digitalen Kultur neu aushandelt, da viele seiner Elemente (formalästhetisch-semiotisch, technisch-apparativ oder auch kulturell-institutionell) nicht mehr – oder noch nicht – als stabil und konventionalisiert gelten. Die medialen Formgrenzen und Rahmungen inmitten digitaler ‚Hyper-Medien‘ scheinen sich damit in signifikanter Weise zu verschieben. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Transformationen der Comic-Produktion, -Konzeption und -Rezeption als einer ‚Industrie 4.0‘ und diskutiert insbesondere die dadurch bedingten medienästhetischen Herausforderungen.

Tim Glaser (Braunschweig): „Comics, Communities & Crowdfunding. Plattformen und deren Einfluss auf die Rezeption und Distribution von Webcomics“

Webcomics sind eine eigene digitale Industrie geworden, in dieser werden nicht nur Serien kreiert und rezipiert, sondern auch diskutiert, editiert und auf Plattformen geteilt. Verschiedene Communities bilden dabei den Ausgangspunkt für das Zusammentreffen von Künstler_innen und Leser_innen oder für das kommentieren und verbreiten von Werken. Insbesondere soziale Medien und Aggregatoren, wie Reddit oder 9Gag, haben dazu geführt, dass Webcomics heute nahezu digital omnipräsent sind. Gleichzeitig wird damit die Frage nach erfolgreichen Finanzierungsmodellen und deren Einfluss auf Webcomics relevanter. Bereits 2003 versuchte Scott McCloud mit Hilfe der Firma Bitpass seine Webcomics Serie „The Right Number“ für 25 Cent je Ausgabe online zu verkaufen, ohne großen Erfolg. Andere Formen von Microtransactions und Crowdfunding folgten, sowie verschiedene Alternativen der Finanzierung in den letzten Jahren. Der Vortrag widmet sich diesen Entwicklungen und wird dazu zuerst einen Überblick über verschiedene Angebote und deren Einfluss auf die zeitgenössische Webcomic-Industrie geben. Im nächsten Schritt wird darauf aufbauend analysiert, welchen Einfluss diese Plattformen auf die Produktion und Rezeption von Webcomics nehmen. Der Fokus wird dabei unter anderem auf Patreon liegen, die derzeit populärste Crowdfunding-Plattform für digitale Content Production. Zusätzlich werden Angebote wie Line Webtoon, Tapas.io und deren Apps untersucht, sowie Hivework, eine Community, die als digitaler Verlag agiert.

Peter Vignold (Bochum): „From A(yn) to Z(ack) – Objektivismus im zeitgenössischen Comicfilm“

Im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert, werfen Ayn Rands Hauptwerk The Fountainhead (1943) und Atlas Shrugged (1957) sowie der daraus abgeleitete Objektivismus in den USA einen langen Schatten, der bis in die gegenwärtige Wirtschaft, Politik und Unterhaltungsindustrie hineinreicht. Während der nachträglich zur politischen Philosophie erklärte Objektivismus im wissenschaftlichen Fachdiskurs scharf kritisiert wurde und kaum stattfindet, haben Ayn Rands Ideen eines radikalen Individualismus, der moralischen Erhöhung von Selfishness und ihre Forderung einer Entgrenzung von Industrien und Kapitalismus unter möglichst vollständiger Nichteinmischung des Staats in die Belange der Bevölkerung in wirtschaftslibertäre Ideologien Einzug gehalten, prominente Befürworter im konservativen Flügel der US-Politik gefunden, prägen das Gedankengut der Tea-Party-Bewegung und des derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump ebenso wie die Silicon Valley-Tech-Kultur und die von ihr ausgehenden Strategien der Digitalisierung. Mit in den 2010er Jahren erscheinenden Comicfilmen wie Iron Man 2 (2010), Man of Steel (2013), Batman v Superman: Dawn of Justice (2016) und Captain America: Civil War (2017) kehrt der Objektivismus in Form von Hollywood-Blockbustern, die weltweit hunderte Millionen Dollar einspielen und bereits vor Erscheinen fest in die Populärkultur integriert sind, in das digitale Filmzeitalter ein. Im Rahmen des Vortrags soll aufgezeigt werden, wie die aktuellen Neuinterpretationen der Marvel/DC-Helden als Echos Rand’scher Figuren erscheinen und der Objektivismus die argumentativen Linien definiert, entlang derer die ideologischen Konflikte dieser Filme positioniert und ausgehandelt werden. Eine solche Lesart verdeutlicht die Ubiquität der Ideen Rands, deren Strukturen sich deutlich nicht nur in Operationsmodi zeitgenössischer Politik und Tech-Industrien spiegeln.

Diskussionsrunde: „Comic-Industrie 4.0…? Märkte, Plattformen und Akteur_innen 2018“

Sa. 29. September 2018 | 10-11.30h
Unteres Schloss | SESSION: 08.04 | RAUM: US-A 134/1

Die Digitalisierung hat auch die deutsche Comic-Industrie nachhaltig transformiert – die tatsächlichen Auswirkungen aber sind nur schwer realistisch einzuschätzen. Insbesondere in der stark vernetzten Manga-Szene konnten sich Online-Communities wie Animexx als eigenständige Distributionskanäle etablieren, die auch professionell verlegten Künstler_innen als Alternative für narrative und ästhetische Experimente dienen. Andere Autor_innen nutzen digitale Plattformen wie Webtoon und Tapas zur zusätzlichen Verbreitung oder publizieren im Eigenverlag auf Messen und Festivals. Oft wird dies durch neue Finanzierungsmodelle wie Patreon gestützt, andere Werke erscheinen auf Englisch und adressieren damit gleich ein internationales Publikum. Dennoch können bislang kaum Kreativschaffende so ihren Lebensunterhalt bestreiten. Aber ist dies zwangsläufig das Ziel aller Künstler_innen? Oder bieten digitale Publikationstechnologien nur neue Wege in weiterhin zentrale Verlags- und Vertriebsstrukturen? Ist eine Differenzierung zwischen professionellen Werken und Fan-Produktionen wie dōjinshi heute noch sinnvoll? Die Diskussionsrunde der AG Comicforschung zum Thema „Comic-Industrie 4.0…? Märkte, Plattformen und Akteur_innen 2018“ beleuchtet diese Fragen mit Vertreter_innen großer Verlage, digitaler Interessensgemeinschaften und unabhängigen Künstler_innen.

Teilnehmer_innen:
Björn Hammel (Badham.de), Eva ‚Eve Jay‘ Junker (Comic Solidarity), Mim&Bob – Pushcart (Remembering Gale), Steffen Volkmer (Panini)

Chairs: Lukas R.A. Wilde (Tübingen) und Véronique Sina (Köln)

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