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Diversity-Steckbrief: Daniel Stein

Daniel Stein

Seminar für Anglistik, Universität Siegen

Wie bist du in der Comicforschung gelandet und was interessiert dich an Comics besonders?

Ich habe als Kind und Jugendlicher Comics gelesen, neben den obligatorischen Lustigen Taschenbüchern, Lucky Luke, Asterix & Obelix und Tim & Struppi auch den ein oder anderen Superheld:innencomic. In meinem Amerikanistik-Studium der Universität Mainz spielten Comics keine Rolle. Allerdings kann ich mich daran erinnern, in einer Hausarbeit über den US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat (bzw. das Fehlen eines solchen) im Nebenfach Politikwissenschaft einige Strips aus Berkeley Breatheds Bloom County verwendet zu haben. Das war der erste Versuch, mein Interesse für die Literatur, Kultur, Politik, Sprache und Geschichte Nordamerikas mit meinem Faible für Comics zusammenzubringen. Richtig angefangen hat das Ganze dann aber mit einer von Katerina Kroucheva und Stephan Ditschke an der Universität Göttingen organisierten Ringvorlesung, bei der ich zusammen mit Frank Kelleter einen Vortrag über die frühen US-amerikanischen Zeitungsstrips (Richard Outcault, Winsor McCay, George Herriman) gehalten habe und im Anschluss den auf dieser Ringvorlesung basierenden Sammelband (Comics: Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums, transcript, 2009) mitherausgegeben habe. Der nächste Schritt war die Mitarbeit in einem Teilprojekt der Göttinger DFG-Forschungsgruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“, bei dem das serielle Erzählen von Superheld:innencomics im Mittelpunkt stand. Daraus ist dann viele Jahre später mein zweites Buch Authorizing Superhero Comics: On the Evolution of a Popular Serial Genre (Ohio State University Press, 2021) geworden. Zwischendrin gab’s noch einige Sammelbände und Themenhefte zur Comicforschung.
An Comics interessiert mich besonders die komplexe und immer wieder verblüffende Verschränkung von Wort und Bild, und auch das Eintauchen in die grafisch konstruierten Erzählwelten, die gute Comics für ihre Leser:innen schaffen. Ich mag das Statische und gleichzeitig Dynamische sequentiell arrangierter Panelfolgen und die damit einhergehende Möglichkeit, das Lesetempo selbst zu bestimmen. Außerdem reizt mich die Tatsache, dass der moderne Comic zwar bereits seit Ausgang des 19. Jahrhunderts existiert, die Forschung sich aber erst sehr viel später ernsthaft und umfangreich mit ihm beschäftigt hat. Da gibt es noch viele Leerstellen, die es sich auszufüllen lohnt. Zu guter Letzt ist es die Vielfalt der Zeichenstile, Figuren und Themen, die meine Faszination für Comics ausmachen, und zwar über Landes- und Sprachgrenzen hinweg.

Was hat deine Forschung mit Diversity zu tun?

Meine Comicforschung war in den ersten Jahren eher narratologisch und kulturhistorisch interessiert. Es ging mir zunächst um die Verbindung serieller Erzählweisen und Genre-Evolution, vor allem mit Blick auf US-amerikanische Superheld:innencomics. Aber seit einigen Jahren arbeite ich daran, diese Forschung (die ich auch weiterhin betreibe) mit meinem zweiten größeren Forschungsgebiet, den African American Studies, zu verbinden. Unter anderem habe ich mich mit der Darstellung der Middle Passage, der Sklaverei und dem System der sogenannten „Rassentrennung“ in den USA in Werken wie Kyle Bakers Nat Turner (2008), Jeremy Loves Bayou (2009/2010) und Rebecca Hall/Hugo Martínez‘ Wake: The Hidden History of Women-Led Slave Revolts (2021), der Erinnerung an die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 60er Jahre in John Lewis, Andrew Aydin und Nate Powells March Trilogie (2013-2016) und mit afro-diasporischen Archiven in Black Panther-Comics beschäftigt. Ein Aufsatz, der 2023 in einem von Véronique Sina, Kalina Kupczynska, Marie Schröer und Anna Beckmann herausgegebenen Tagungsband erscheinen wird, analysiert intersektionale Phänomene in Rachel Marie-Crane Williams Elegy for Mary Turner (2021), ein Text einer weißen Künstlerin, die den brutalen Lynchmord an der afroamerikanischen Mary Turner im Jahr 1918 grafisch aufarbeitet. All diese Studien fließen in einem Buchmanuskript mit dem Arbeitstitel Strange Fruit and Bitter Roots: Black History in Contemporary Graphic Narrative zusammen, das ich in diesem Jahr fertigstellen möchte. Gender und Race, aber auch Class und Sexual Orientation sind in dieser Arbeit zentral, und ich versuche, all diese Aspekte aus einer amerikanistischen, kulturhistorisch orientierten und comicwissenschaftlich fundierten Perspektive heraus zu betrachten.

Woran arbeitest du aktuell?

Neben dem gerade genannten Buchmanuskript und einigen Handbuchartikeln nimmt zurzeit die Mitarbeit im Siegener Sonderforschungsbereich 1472 „Transformationen des Populären“ den größten Teil meiner Forschungszeit in Anspruch. Innerhalb dieses SFB verantworte ich zusammen mit meinem germanistischen Kollegen Niels Werber ein Teilprojekt mit dem Titel „Serienpolitik der Pop-Ästhetik: Superhero Comics und Science-Fiction Heftromane. In diesem Projekt untersuchen wir gemeinsam mit unseren Mitarbeiter:innen die Verschiebung der für das Populäre traditionell wirkmächtigen high/low Axiologie hin zu Skalen der Beachtungsmessung sowie die Effekte dieser Verschiebung auf die Serienerzählungen und ihre digitale Umwelt. Es geht uns auch um Archivierungspraktiken und Reboots als ästhetisch wirksame Erinnerungs- und Popularisierungsstrategien, und wir nutzen dazu neben close readings auch digitale Methoden.

Was machst du, wenn du nicht über Comics forschst?

Mein Arbeitsalltag ist seit 2021 vor allem durch meine Funktion als Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen geprägt. Das nimmt viel Zeit in Anspruch und macht es nicht immer leicht, Freiräume für das Forschen zu finden. Privat stehen vor allem Lesen, ein bisschen Sport und Zeit mit der Familie auf dem Programm.