Barbara M. Eggert (eggy)
Merz Akademie – Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, Stuttgart
Wie bist du in der Comicforschung gelandet und was interessiert dich an Comics besonders?
Schon bevor ich lesen konnte, waren Comics meine Lieblingslektüre und ich bin mit den Mumins von Tove und Lars Jansson sowie den „Biene Maja“-Heften aufgewachsen. Wenn ich niemanden finden konnte, der mir die Texte vorgelesen hat, habe ich mir im Vorschulalter oft zunächst selbst eine Story zu den Bildern ausgedacht. Häufig unterschied sich diese vom Original. Das fand ich spannend: Wie konnte das sein? Diese Faszination für das Zusammenspiel von Text und Bild dauert bis heute an – auch in Bezug auf andere Medien. Seit dem Erststudium (Deutsche Sprache und Literatur/Kunstgeschichte) interessiert mich generell die Erforschung von intra-, inter- und transmedialen Relationen von Texten und Bildern.
In meiner Dissertationsschrift habe ich mich so z.B. mit den Funktionen von Text- und Bildelementen auf Kirchengewändern des 13. bis 16. Jahrhunderts im Messritual und bei Prozessionen befasst. Nun bin ich zu meinem Lieblingsmedium zurückgekehrt, zum Teil sogar zu den Comicheften, die ich in meiner Jugend gelesen habe, so z.B. zu der „Vanessa“ Serie (1982–1991 ) von Peter Mennigen, allerdings mit einem neuen Fokus, nämlich auf Vanessas Rolle als „horror host“. Diese wird vor allem im paratextuellen Bereich greifbar, vor allem im Rahmen von „Die violette Seite“, wo durch Vanessa als erzählende Instanz die dort abgedruckte Fanart zum Bestandteil der Storyworld deklariert wird. Ansonsten widme ich mich seit einigen Jahren intensiv der Theorie und Praxis des Ausstellens von und mit (Elementen von) Comics.
Was hat deine Forschung mit Diversity zu tun?
Ich hatte das Glück, in Hamburg bei der viel zu früh verstorbenen Silke Tammen Kunstgeschichte zu studieren. Hierdurch habe ich mich bereits im Grundstudium mit Fragen der Gender Studies befasst, was in den 1990er Jahren in Deutschland noch keine Selbstverständlichkeit war. Als basso continuo ist dieser Fokus in fast allen meiner Publikationen zu finden. Im Band „Comics und Familie“, den ich gemeinsam mit Kalina Kupczynska und Véronique Sina in der Reihe „Comicstudien“ bei de Gruyter herausgebe, steht z.B. Diversity in Bezug auf familienspezifische Rollenbilder und soziale Mikrostrukturen im Zentrum.
Diversity ist auch ein Anliegen meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung und der damit verbundenen Ausstellungspraxis. Gemeinsam mit Studierenden aus meinen comicspezifischen Lehrveranstaltungen an der Kunstuniversität Linz habe ich z.B. im Dezember 2022 das Projekt „Gender Comics!“ an der New Yorker Fordham University realisieren können (https://news.fordham.edu/arts-and-culture/austrian-students-present-comics-exhibit-that-challenges-gender-stereotypes/), bei dem wir uns kritisch mit genderbezogenen Klischees auseinandergesetzt und gleichzeitig herkömmliche Comicdefinitionen in Frage gestellt haben. In meinem nächsten Projekt wird es um den Konnex von Asexualität und Comics gehen. Bei der Comicinvasion 2023 hatte ich bereits Gelegenheit dazu, ein queer reading von „Vanessa“ als ersten Einblick in dieses Projekt zu präsentieren.
Woran arbeitest du aktuell?
Wie in jedem Sommer konzipiere ich ein comicwissenschaftliche (Online-)Symposium, das seit 2020 in Kooperation mit dem NEXTCOMIC-Festival in Linz stattfindet. Das Schwerpunkthema 2024 ist der Comic als Medium im Aktivismus mit einem besonderen Fokus auf Zines und ich freue mich sehr darauf, wieder die AG Comicforschung als Partnerin an meiner Seite dabei zu haben.
Als Rektorin an der Merz Akademie – Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, Stuttgart liegt nun meine sechsmonatige Probezeit hinter mir. Ich schätze die Herausforderungen und Chancen, die diese Position mit sich bringt. Auch für die institutionelle Verankerung der Comicforschung, für die ich hier endlich Rückenwind habe. An der Merz Akademie hat die Verzahnung von Gestaltung, Kunst, Medien und Theorie seit jeher Tradition und ich plane einen comicspezifischen MA Studiengang, der diese Tradition weiterdenkt. Das wird mich die nächsten fünf Jahre beschäftigen. Und dann gibt es da ja auch noch das Habilitationsprojekt …
Was machst du, wenn du nicht über Comics forschst?
Ich reise leidenschaftlich gerne und suche dann neben Museen und Schwimmbädern auch immer die örtlichen Comicläden auf. Ein Dauerprojekt ist die Komplettierung meiner „Vanessa“-Sammlung, weswegen ich häufig auf Flohmärkten zu finden bin. Außerdem schreibe und zeichne ich unter dem Namen eggy selbst (Photo-)Comics. Eine Kanne mit grünem Tee und Kekse zählen zu den ständigen Begleiterscheinungen.