Martin Schüwer-Publikationspreis für Gesine Wegner
Die AG Comicforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) und die Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) beehren sich, den Martin Schüwer-Publikationspreis 2020 an Gesine Wegner für ihren Aufsatz „Reflections on the Boom of Graphic Pathography: The Effects and Affects of Narrating Disability and Illness in Comics” zu vergeben.
Gesine Wegner ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für American Studies der Universität Leipzig. Ihr Aufsatz erschien in der Ausgabe 14.1 (2020) des Journal of Literary & Cultural Disability Studies.
Gesine Wegner beschäftigt sich mit der zunehmenden Beliebtheit eines Genres, das oft mit Graphic Pathographies überschrieben wird – autobiographischen Comics, die sich mit den Themen Krankheit und Behinderung auseinandersetzen. Wegner liefert eine versierte und differenzierte Kritik des Okularzentrismus’, also des oft unhinterfragten und romantisierenden Fokus’ auf das Visuelle in der mannigfaltigen Rezeption besagter Comics. Die Jury hat sich für Wegners Aufsatz entschieden, weil er gekonnt Verbindungslinien aufzeigt von den Graphic Pathographies hin zur älteren Tradition autobiographischer Comics, hin zu den New Disability Memoirs und hin zur ab den 1970er Jahren für medizinische Ausbildungsstätten zunehmend prägenden literature-and-medicine-Bewegung. Das Verdienst des Aufsatzes ist es, aufzuzeigen, wie diese theoretischen Vorarbeiten in ihrer Breite nutzbar gemacht werden können. Die Autorin begrüßt den in jüngster Zeit zu beobachtenden Einbezug von Comics in das Spektrum der medialen Ausdrucksformen, die in medizinischen Curricula vorkommen. Sie zeigt aber gleichzeitig auf, dass der Miteinbezug von Bildern in einer Tradition medizinischer Praxen mit bildgebenden Verfahren steht und dass damit das Visuelle der Comics keinesfalls eine so radikale Erneuerung darstellt, wie die Rezeption das zuweilen suggeriert. Weder eine modale Hierarchisierung – zu Ungunsten etwa des Verbalen – noch ein ausschließlicher Fokus auf Darstellungen des Körpers – bei Nichtbeachtung etwa von gesellschaftlichen Stigmatisierungen – seien hilfreich für eine differenzierte Lesart von Graphic Pathographies. In ihrer Analyse verbindet die Preisträgerin Spürsinn mit Weitblick; sie würdigt unterschiedliche Details in der bisherigen Auseinandersetzung mit Graphic Pathographies, zeigt aber auch konkrete Wege für die zukünftige Theoriebildung auf.
Die Jury gratuliert Gesine Wegner sehr herzlich zum Martin Schüwer-Publikationspreis 2020!
Lobende Erwähnung für Joanna Nowotny
Neben dem Hauptpreis vergibt die Jury in diesem Jahr eine lobende Erwähnung. Sie geht an Joanna Nowotny für ihren Aufsatz „Repetition oder Revolution? Posthumane Identitätsentwürfe im Superheldencomic der Gegenwart“.
Joanna Nowotny ist Postdoc und Oberassistentin an der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft der ETH Zürich. Ihr Beitrag ist 2019 im Kieler e-Journal für Comicforschung CLOSURE erschienen.
Der Beitrag bringt das Konzept des Posthumanen nach Donna Haraway mit der von Tom King, Gabriel Hernandez Walta, Michael Walsh und Jordie Bellaire kreierten Superhelden-Serie The Vision zusammen, die 2015/2016 im Marvel Verlag erschienen ist. Im Rahmen ihrer interdisziplinär höchst anschlussfähigen Ausführungen thematisiert die Autorin eindrücklich und versiert aktuelle Fragen aus dem Bereich der KI- und Genderforschung und überträgt sie gekonnt auf das Medium Comic. Den roten Faden bildet dabei die Suche nach widerständigen Cyborg-Träumen, wie sie die feministische Forschung der 1980er und 90er-Jahre hoffnungsvoll proklamierte. In einem mehrschrittigen detaillierten Close Reading von The Vision untersucht Nowotny, inwiefern posthumane Identitätsentwürfe zur Disposition stehen, welche Rolle hierbei männliche Schöpfungsmythen spielen und warum dem Aspekt der Repetition mit Blick auf inhaltliche und formal-ästhetische Strukturelemente in der Serie eine besondere Bedeutung zuzuschreiben ist. Mit ihrer gleichermaßen experimentellen wie innovativen Lektüre von The Vision aus kulturwissenschaftlicher und gendertheoretischer Perspektive liefert Nowotny nicht nur einen originellen, sondern auch einen besonders zugänglichen Beitrag und bereichert damit die interdisziplinäre Comicforschung.
Die Jury gratuliert Joanna Nowotny ganz herzlich zu ihrem hervorragenden Aufsatz!
Die Preisverleihung wird im Rahmen der 15. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) stattfinden.
Die Jury des Martin Schüwer-Preises 2020
Nina Eckhoff-Heindl
Lukas Etter
Dorothee Marx
Véronique Sina
Daniel Stein